Peter Rödler

Filmrezension zu RAINMAN

aus BEHINDERTENPÄDAGOGIK 2/89

RAINMAN

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Wegen der momentanen Popularität des Films sowie der durch ihn ausgelösten Diskussionen hier ausnahmsweise eine Filmrezension: Zu erst das Positive: Dustin Hoffmann ist wie immer - wenn der eine Bockwurst spielt, ist das Oscar reif - sensationell gut. Sagenhaft wie er sich in die Person des Raymond hineinbegibt, ihr wirkliches Leben einhaucht; nie einem Voyeurismus des 'Freakischen' verpflichtet, das Lachen über einzelne Aktionen von Raymond wird nie zu einem Auslachen. Bemerkenswert zum Teil auch die Kameraführung und die z.T. überlauten Geräuschsequenzen - natürlich nicht lange genug um zu einer echten Bedrohung zu werden.
Mit diesen beiden Punkten ist meiner Meinung nach aber schon Schluß mit dem Positiven. Es ist halt alles - Hollywood - entschieden zu glatt, einfach klischeehaft. Natürlich ist Raymond ein 'Ausnahmeautist' am oberen Rand der Möglichkeiten. (Alles andere wäre auch nicht darstellbar gewesen.) Aber dadurch wird der Mystifikation und dem -netten- Geheimnis 'Autismus' nur Vorschub geleistet. Wirkliche Bedrohung kommt ja nie auf, wird für den Zuschauer nie erlebbar, ist aber in der Regel sowohl für die sogenannten 'Autisten' wie auch die Menschen, die mit ihnen leben und arbeiten, immer vorhanden. (Ich meine hier nicht vorrangig durch körperliche Angriffe sondern durch die Fremdheit der jeweiligen Welten.)
Zu dem zeigt der gesamte Film einzig die Entwicklung von dem Bruder Charlie(!), Raymond wird letztlich im Regen stehen gelassen, und es gibt keinen Punkt im Film wo ein anderes Ende, ein Ansatz von eigener Entwicklung erahnbar gewesen wäre. 'Reise mit einem Autisten durch die Staaten, zwei Wochen Selbsterfahrung in den schönen Landschaften der neuen Welt`. So oder ähnlich könnte ein entsprechendes 'Psychoreisen'- Angebot für den gestressten Jungmanager aussehen. Bei dem heutigen Psychorummel vielleicht die übersehene Nische? Nach der Delphintherapie für Autisten (Stern, 3/1988, S.42. ff) würde es mich nicht wundern, wenn jemand draufkäme und eine solche Reiseveranstaltung am Ende noch als 'Integrativearbeitsmöglichkeit' für Autisten ausgeben würde. Hier wie da: die Katastrophe wäre perfekt, würde der 'Autist' nur ein kleines Stück von seinem Autismus abweichen. Er ist im Klischee festgenagelt. Er ist ja auch sooo nett.
So nähert sich die Freundin von Charlie Raymond im Fahrstuhl. - Würde das ein Mann mit einer Frau machen, Fahrstuhl anhalten... , wäre das die Grenze zur Vergewaltigung. - Allerdings geht es ihr ja auch nicht um Raymond sondern nur um die Bestätigung ihrer Fantasie ihr Sex wäre stärker als sein Autismus. Der Versuch scheitert, sie tritt danach nicht mehr in Erscheinung. - (Aus Alexis Sorbas: `Die größte Sünde des Mannes ist: wenn eine Frau ihn in ihr Bett ruft und er nicht gehen will'.)
Und Charlie? Er gewinnt die Möglichkeit von Gefühlen, in dem ihm Raymond seinen Spiegel vorhält, und damit die Liebe seiner Freundin wieder. Wo wird aber dieses 'den Spiegel vorhalten' deutlich - außer am Beginn mit dem gleichen zwanghaften Bezug zu Autos über deren Daten -, führt zu einem Nachdenken Charlies über seine und Raymonds gemeinsame Wurzeln, ihr gemeinsames Lebensumfeld, z.B. die Bedeutung des Vaters?
Ansonsten verdrängt er den Betreuer Burn - 'großer Boss Burn' - ebenso professio` nell von der Seite Raymonds, wie er berufliche Konkurennten aus dem Weg zu räumen gewohnt ist; aber nicht um seinem Bruder ein eigenes Leben zu eröffnen, sondern um selber der 'große Boss' zu werden, was dann mit 'Bruderliebe' verwechselt wird.
In dieser Hinsicht scheint mir der Film äußerst realistisch - die immer wieder vereinnahmende Auseinandersetzung, wer denn nun im Namen des 'Autisten' handeln, sprechen, das Beste wollen darf. Ein sanfter und deshalb umso weniger angreifbarer Boss lößt den nächsten ab. Eine echte Chance über einen sinnvollen, produktiven Konflikt mit ihm, wird Raymond nie gegeben. - Nur wer sieht das so? War es je so geplant?
Alles in allem ein Hollywood-Rührstück über eine Episode eines amerikanischen Yuppies mit seinem skurrilen Bruder. Nett und ungefährlich solange es nicht mit der Realität von Autismus zusammengebracht wird. In diesem Zusammenhang eine Katastrophe der Vereinfachungen und mystifizierender Klischees.

Peter Rödler mail

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