Allmuth Bober, Ingeborg Thümmel:
Es kann doch zumindest nicht schaden?
Risiken beim Einsatz von Gestützter Kommunikation
(Ersterscheinen: Die neue Sonderschule 44 (1999), S. 434-452)



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Gestützte Kommunikation (FC) wird in Deutschland zunehmend populärer. Die Anwendung der Methode kann dazu führen, dass der FC-Schreiber Texte tippt, die nicht von ihm sondern von der stützenden Hilfsperson stammen. Die Gefahren dieses Phänomens werden in der deutschsprachigen Fachliteratur bagatellisiert, u.a. mit dem Hinweis auf die Interaktivität jeglicher Kommunikation.

Um aktuellen und potentiellen FC-Anwendern eine möglichst informierte Entscheidung und Risikoabschätzung bezüglich des Einsatzes der Verfahrens zu ermöglichen, soll - ausgehend vom aktuellen Forschungsstand unter Einbeziehung neuerer US-amerikanischer Untersuchungen - dargestellt werden, mit welchen negativen Wirkungen und ethischen Problemen für verschiedene Untergruppen von FC-Benutzern zu rechnen ist.

Was ist FC ?

Gestützte Kommunikation (FC = Facilitated Communication) ist eine Methode zur Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten von Menschen, die sich nicht oder nur begrenzt lautsprachlich mitteilen können, z.B. für Menschen mit "...Autismus/Menschen mit autistischen Zügen, Down-Syndrom, Rett-Syndrom, Cerebralparese, Geistige Behinderung unklarer Genese." (Bundschuh 1998, 361).

Als gemeinsames Merkmal dieser Menschen wird von den FC-Befürwortern angenommen, dass sie Lautsprache zwar verstehen, sich allerdings lautsprachlich nicht, respektive nicht ausreichend äußern können. FC wird als subsidiäre Methode deklariert, im Falle des Scheiterns von anderen augmentativen bzw. alternativen Kommunikationshilfen (Crossley 1997).

Die Methode besteht darin, dass der kommunikationsbehinderten Person (=Schreiber) eine Kommunikationshilfe zur Verfügung gestellt wird (meist eine Buchstabentafel oder ein laptop) und eine zweite Person (=Stützer) Hand, Unterarm oder Schulter des Schreibers berührt, um ihr die Ansteuerung der Kommunikationshilfe zu erleichtern. Die Stütze soll nach und nach ausgeblendet werden, Ziel der Methode ist die Anbahnung unabhängigen Schreibens.

Durch die körperliche Hilfestellung (=Stütze) sollen die Schreiber "...das Mindestmaß an willentlicher Kontrolle der eigenen Bewegungen ( erreichen), das sie brauchen, um auf einen Buchstaben zu zeigen oder ihn auf einer Tastatur antippen zu können. Die Stützung durch einen nichtbehinderten Partner ermutigt und trägt zur Konzentration bei, hilft - falls nötig - dabei, den Zeigefinger zu isolieren, ruft durch Gegendruck einen Impuls hervor, bremst überstürzte Bewegungen und verhindert das Verbleiben des Fingers auf der Tastatur nach der Wahl eines Buchstabens." (Nagy 1998, 5).

Durch diese "krankengymnastische Hilfestellung" (Bundschuh 1998, 361) sowie durch emotionale und verbale Unterstützung sollen bis dahin unentdeckte, aber bereits vorhandene kognitive und kommunikative Fähigkeiten zutage gefördert werden.

Die Methode setzt voraus, dass die Schreiber wesentlich kompetenter seien, als bisher von den Bezugspersonen und Fachleuten angenommen wurde, dies aber vor dem Einsatz der Methode nicht offenbaren konnten, da die Handlungskontrolle gestört sei.

Ergebnis der Methode sind Texte, die dringend der sonderpädagogischen Reflexion bedürfen.

DAS GYMNASIUM IST WUNDERBAR; VIELE TOLLE SCHÜLER SIND DORT. LERNE NICHT SOVIEL, DA DER STOFF ZU LANGSAM VERMITTELT WIRD, HABE ABER FREUDE AM BEOBACHTEN DER SCHÜLER UND LEHRER.

(Text aus Hildebrandt-Nilshon 1998, 34)

FREUDE ERZEUGEN GERADEZU GESAMTHEITLICH JENE GUTEN GRENZENLOSEN DIE NICHT DOGMATISCH FRECH GEFESSELT SIND TREFFEND MOECHTE BETONEN GERNE BIN BEREIT GERADEZU MEIN WESENREICHES WANDELNDES GERADEZU INTERESSANTES LEBEN DARZUSTELLEN.

DOCH MUSS ICH FESTSTELLEN DASS MAN MICH AUFGRUND NERVLICHER PROBLEME DERART HILFLOS BEURTEILT ALS WAERE ICH GEISTIG BEHINDERT. (Text aus Bunter Vogel, 4/99, 34)

Ich bin ein richtig denkender Behinderter ohne Sprache. Mit der Methode des gestützten Schreibens bin ich nicht mehr behindert. ((Text aus Bunter Vogel, 4/99, S.7)

Die Berücksichtigung dieser und ähnlicher Äußerungen müsste zu einer radikalen Änderung der derzeitigen Theorie und Praxis in der Sonderpädagogik führen:

 

Aktueller Forschungsstand

Aufgrund des körperlichen Kontakts zwischen Schreiber und Stützer können FC-Texte im Prinzip auf zwei Arten entstehen: als Texte des Schreibers (wie von den FC-Befürwortern angenommen) und/oder als Texte der Stützer. Im letzteren Fall wäre die Kommunikation durch FC eine Selbsttäuschung des Stützers, der Schreiber setzt subtile, unbewusst gegebene, Hinweisreize des Stützers in Tippbewegungen um (von Tetzchner 1996a; Spitz 1997).

Um zu prüfen, ob ein Schreiber Autor eines von ihm zusammen mit einem Stützer produzierten Textes ist, muss auf irgendeine Weise ausgeschlossen werden, dass der Stützer Autor des Textes sein könnte. Das Prinzip soll ein Ausschnitt aus einer Einzelfallstudie von Hudson et al. (1993) verdeutlichen:

Der Schreiberin wurden Fragen unter vier verschiedenen Bedingungen gestellt: Bedingung A war die übliche FC-Situation; in B trugen Schreiberin und Stützerin Kopfhörer und hörten die gleichen Fragen; in C trugen Schreiberin und Stützerin Kopfhörer und hörten verschiedene Fragen; in D trugen Schreiberin und Stützerin Kopfhörer, die Schreiberin hörte Fragen und die Stützerin hörte Musik.

Ergebnisse (richtig beantwortete Fragen)

A

B

C

D

8 von 10

4 von 10

0 von 10

0 von 16

In der Versuchsdurchführung wurden die 20 Fragen aus Bedingung B und C gemischt angeboten wurden, d.h. die Stützerin wusste jeweils nicht, ob sie die gleiche oder eine andere Frage hörte als die Schreiberin. Dadurch konnte ausgeschlossen werden, dass Faktoren wie Testangst oder Abneigung gegen Kopfhörer für das Ergebnis verantwortlich waren, denn diese Störvariablen hätten sich in Bedingung B und C gleichsinnig auswirken müssen.

Die aktuellste Übersicht über kontrollierte Studien (Biermann 1999) erfasst 44 quasi-experimentelle Untersuchungen zur Wirksamkeit von FC. Der Stützereinfluß wurde durch unterschiedliche Methoden kontrolliert, z.B. durch die visuelle Abschirmung des Stützers von vom Schreiber zu benennden Bildern (z.B. Wheeler et al. 1993), durch die Anweisung an den Stützer, nicht auf die Tastatur zu sehen (z.B. Bligh und Kuppermann 1993), durch Uninformiertheit des Stützers bezüglich einer vom Schreiber gerade erlebten Aktivität (z.B. Montee et al.. 1995) bzw. bezüglich eines zu beschreibenden Objekts (z.B. Vasquez 1995) oder dadurch, dass der Stützer nicht wusste, welche Fragen der Schreiber beantworten sollte (Shane und Kearns 1994). Die abhängige Variable variierte vom Zeigen auf Bilder über das Wiedergeben von Wörtern und dem Benennen oder Umschreiben von Objekten, Bildern und Aktivitäten bis zum Wiedergeben von Botschaften.

 

Belege für die Wirksamkeit von FC

Biermann (1999) stellt aufgrund ihrer Zusammenfassung und Analyse der experimentellen Untersuchungen fest, dass 20% der Schreiber nach Ansicht der jeweiligen Autoren der Studie valide FC-Kommunikationen zeigten. 80% der Schreiber hingegen verloren ihre vorher unter FC gezeigten Fähigkeiten, sobald die Stützer die Frage nicht kannten oder die Antwort nicht kannten oder nicht auf die Buchstabentafel bzw. Tastatur sehen konnten.

Die erfolgreichen 20% der Probanden konnten bis auf wenige Ausnahmen lediglich einfache Aufgaben (z.B. das Niederschreiben nach visueller und auditiver Vorlage) mit FC besser bewältigen als ohne FC. Allerdings nur manchmal, d.h. nie durchgehend über alle Bedingungen, nie mit durchgehendem Erfolg und nur nach intensiver Übung.

Die geringen Validierungsraten und das unerwartet niedrige Niveau der validierbaren FC wurden von den Befürwortern anfangs mit einer Reihe von Post-hoc-Hypothesen wegzudiskutieren versucht (Testangst, Wortfindungsstörungen, klinische Atmosphäre der Untersuchungen), bis sich dann in weiteren Untersuchungen herausstellte, dass auch die Berücksichtigung dieser Faktoren kaum zu einer Verbesserung der Ergebnisse führte (z.B. BRAMAN et al. 1995).

Auch in der einzigen deutschen kontrollierten Studie (Hildebrandt-Nilshon et al. 1998) waren die oben zitierten Fehlerquellen weitgehend ausgeschlossen, dennoch zeigten nur sieben der 25 untersuchten FC-Schreiber "positive Hinweise" auf Literalität - allerdings längst nicht auf dem Niveau, das die von diesen Schreibern mit FC produzierten Texte vermuten ließen. Bei vier Schreibern ließ sich die via FC gezeigte Literalität mit quantitativen Methoden validieren, wobei sich allerdings mindestens zwei der vier "validierten" Schüler ohne FC wesentlich besser mitteilen konnten als mit FC, da sie sprechen und lesen bzw. (ungestützt) schreiben konnten.

Inzwischen sprechen sogar Donald Cardinal und Douglas Biklen (1997, 207), zwei der einflussreichsten FC-Befürworter, bescheiden davon, dass die einzigen kontrollierten Studien, in denen via FC Fähigkeiten im Rahmen der Normalbegabung zutage gefördert werden konnten, lediglich die von Olney (1995, 5 Probanden) und Weiss et al. (1996, 1 Proband) seien.

Festzuhalten ist: Bis heute ist unbekannt, wieviele der FC-Schreiber die Autoren ihrer Texte sind. Es gibt solche Schreiber, nach den Ergebnissen kontrollierter Studien sind es jedoch eher wenige als viele. Unter den authentischen Schreibern sind auch solche, die ohne FC besser als mit FC kommunizieren, sowie solche, die mit FC nur geringfügig besser als ohne FC kommunizieren.

 

Welche Auswirkungen hat die geringe Effektstärke von FC als alternativer Kommunikationshilfe?

Auf den ersten Blick wenige: So wäre diese geringe Wirksamkeit unproblematisch, solange im Einzelfall festgestellt werden kann, ob die Texte vom Schreiber stammen oder nicht. Wie bei anderen Kommunikationshilfen im Bereich der Unterstützten Kommunikation unterbreitet der Pädagoge dem Schüler ein Angebot. Geht dieser auf das Angebot ein, gelingt es dem Schüler mit Hilfe von Gebärden, Bildsymbolen oder mit FC seine kommunikativen Möglichkeiten zu erweitern, so wird der Lehrer sich künftig auf diese Kommunikationsform im dialogischen Prozess einlassen. Dem Schüler steht allerdings auch frei das Angebot abzulehnen. Das muss dann freilich dazu führen, dass der Pädagoge alternative Angebote unterbreitet.

Die einzige Problematik bei FC wäre dann, Kriterien in Bezug darauf zu finden, für wen das FC Angebot sich eignet bzw. für wen es sich weniger eignet. Damit wäre gewährleistet, dass möglichst alle potentiellen FC-Schreiber entdeckt werden bzw. möglichst wenige potentielle "Nicht-FC-Schreiber" mit dem für sie nicht geeigneten Angebot konfrontiert würden.

Leider liegen die Dinge nicht so einfach.

 

Steuerung der Schreiber durch die Stützer

Sowohl in qualitativen als auch in quantitativen Untersuchungen stellte sich nämlich überraschenderweise heraus, dass die Schreiber im Falle einer falschen Antwort oft nicht einfach nichts oder Buchstabensalat schrieben, sondern die Antwort gaben, die dem Stützer bekannt war. Leider sogar dann, wenn die Antwort nur dem Stützer bekannt war, der Schreiber selbst also den Inhalt der Antwort gar nicht wissen konnte.

Als Beispiel sei hier die Untersuchung von Montee et al. (1995) aufgeführt. Die Autoren untersuchten sieben Erwachsene mit geistiger Behinderung, die in ihrem Alltag fließend mit FC schrieben, mit zwei Aufgabentypen (Bilderbenennen; Berichten über eine direkt vor der Testsituation durchgeführten Freizeitaktivität) und unter drei Bedingungen (informierter Stützer, nichtinformierter Stützer, falsch informierter Stützer). In der Bedingung "falsch informierter Stützer" wurde dem Stützer ein anderes Bild als dem Schreiber gezeigt bzw. er wurde über die durchgeführte Aktivität fehlinformiert.

Es stellte sich heraus, dass die Schreiber nur dann die Bilder bzw. Aktivitäten benennen konnten, wenn die Stützer informiert waren, also die Antwort auch kannten. Wenn die Stützer uninformiert waren, gelang das Benennen nicht mehr. Hatten die Stützer eine andere Information als die Schreiber, wurde in 66% (Bilderbenennen) bzw. 80% (Aktivitäten benennen) der Durchgänge vom Schreiber die Information gegeben, die nur dem Stützer bekannt war.

Dieses Ergebnis gibt Anlass zur Sorge, da es die Hypothese, die Hilfestellung des Stützers sei mitteilungsneutral, falsifiziert.

Leider ist es kein Einzelergebnis: Steuerung durch die Stützer ist bei FC eher die Regel als die Ausnahme, sie ließ sich bei etwa 75% der untersuchten FC-Schreiber feststellen (vgl. Biermann 1999). Das Ausmaß der Steuerung korreliert positiv mit der FC-Erfahrung der Schreiber und der Stützer (Bebko et al. 1996) sowie mit der – durch unabhängige Suggestibilitätstest gemessenen – hypnotischen Suggestibilität der Stützer (Burgess et al. 1998).

 

Befunde zur Steuerung der Schreiber durch die Stützer

Der Stützereinfluß ist ein unbewusstes Phänomen, von daher kann nicht erwartet werden, dass er durch Selbstkontrolle bzw. kritische Reflektion/Introspektion der Stützer vermieden werden könnte (von Tetzchner 1996a, 161). In der Tat stellte sich in vielen Untersuchungen (z.B. Siegel 1995) heraus, dass die Stützer weder während des Stützvorgangs noch nach Abschluss feststellen konnten, welcher Anteil des Textes auf ihr Konto und welches auf das Konto des Schreibers ging.

Burgess et al. (1998) ließen Studenten eine angeblich behinderte Person, die in Wirklichkeit eine Mitarbeiterin der Untersucher war, "stützen". In 68% der Fälle trat automatisches Schreiben auf: Die Mitarbeiterin tippte Informationen, die nur den vermeintlichen Stützern und nicht ihr bekannt waren. Dies wurde von den Vpn nicht bemerkt: Die Vpn hielten mehrheitlich die Mitarbeiterin für die Quelle der produzierten Antworten; keine der 40 Vpn schrieb nicht zumindest einen Teil der Äußerungen der Komplizin des Versuchsleiters zu.

Nicht nur können die Stützer nicht zuverlässig beurteilen, wer Autor der Äußerungen ist, auch von Seiten der Schreiber ist nicht davon auszugehen, dass eventuelle falsche Zuordnungen der Autorschaft korrigiert werden. Zum einen bemerkt sicherlich nicht jeder Schreiber, was da eigentlich passiert; zum anderen ist das FC-Schreiben für manche Schreiber eine angenehme Erfahrung, so dass nicht damit zu rechnen ist, dass dagegen protestiert wird So schildern Hildebrandt-Nilshon et al.. (1998, 37) den subjektiven Eindruck des Evaluationsteams in einer der untersuchten Klassen folgendermaßen.: "Bei FC handelt es sich um ein Spiel oder Ritual, dem sich die Kinder bereitwillig unterwerfen, weil sie darin Bestätigung finden, es gibt jedoch kaum eine Verbindung zwischen den produzierten Aussagen und dem Verhalten der Kinder." Weitere Gründe für die oft - allerdings nicht immer - beobachtete Akzeptanz von FC durch die Schreiber diskutieren Green und Shane (1994).

Leider kann der Stützer auch durch "Testmaßnahmen" wie in den Alltag eingebettete Validitätsprüfungen nicht kontrolliert werden, da es in der Darstellung der FC-Befürworter (z.B. Weiss u. Wagner 1997) viele Schreiber zu geben scheint, die zeitweise fremd gesteuert schreiben und zeitweise wenig fremd gesteuert schreiben bzw. deren Äußerungen eine Mischung aus Äußerungen des Stützers und eigenen Äußerungen ist. Konsequenz dieser intraindividuellen Variation des Steuerungsgrads ist, dass "einmal validiert nicht immer validiert" ist. Von dem Ergebnis einer Testsituation können keine Schlüsse auf zukünftige Situationen gezogen werden, da keine externe Validität über die Zeit und über Situationen gegeben ist.

 

Wie funktioniert die Steuerung der Schreiber durch die Stützer?

In der FC-Situation gibt es drei Rollen, nämlich den Schreiber, seinen Gesprächspartner und seinen Kommunikationshelfer. Dass in der FC-Praxis die letzten beiden Rollen oft in der Person des Stützers vereint sind, verschleiert dies ein wenig, ändert aber nichts an der Sache.

In Anlehnung an die Analyse von von Tetzchner (1996b) lässt sich die hier interessierende Interaktionssituation folgendermaßen darstellen:



 

 


Der Schreiber konstruiert im Kopf eine Mitteilung, kann sie aufgrund seiner output-Probleme motorisch nicht umsetzen und erhält vom Stützer Hilfestellung um diese motorischen Probleme zu überwinden. Wenn dies gelingt, kann der Gesprächspartner des Schreibers mit Hilfe der externen Kommunikationshilfe die Mitteilung des Schreibers rekonstruieren.

Der Schreiber fungiert in diesem Modell als Kommunikationspartner, der Stützer fungiert als triviale Maschine, da er – unbeeinflusst von eigenen inneren Zuständen – lediglich als Relais die Impulse des Stützers umsetzt.

Hingegen favorisieren viele FC-Kritiker folgendes Modell:



 

 

 


Hier formuliert der Stützer (unbewusst) im Kopf eine Mitteilung, der Schreiber reagiert auf (unbewusst ausgesendete) Signale des Stützers, indem er einen bestimmten Buchstaben antippt, analog einer Ansteuerung eines Gerätes im scanning-Verfahren. Die Signale des Stützers können über den Tastsinn aufgenommen werden (Ouija-Tisch-Effekt), über den Gesichtssinn (Kluger-Hans-Effekt), denkbar ist auch der auditorische Kanal. Gelingt dieser Prozess, erhält der Gesprächspartner des Schreibers durch die Hand des Schreibers Mitteilungen des Stützers.

Der Stützer fungiert in diesem Modell als Kommunikationspartner (wenn auch unfreiwillig), der Schreiber fungiert als triviale Maschine, da er – unbeeinflusst von eigenen inneren Zuständen – lediglich als Relais die Impulse des Schreibers umsetzt.

Eine Kombination beider Modelle könnte so aussehen:

Anfangszustand:



 

 

 


Dadurch, dass der Stützer die getippten Worte laut mitliest, lernt der Schreiber mit der Zeit schreiben, irgendwann übernimmt er die Führung.

Endzustand:



 

 


Dieses Modell ist durchaus plausibel, Handführung als Lehrstrategie oder auch als therapeutische Strategie ist altbekannt und führt oft auch zum erwünschten Effekt.

Das Problem bei diesem Modell ist allerdings, dass es nicht das Modell ist, auf dass sich die FC-Befürworter berufen und dass es in der Tat für die Mehrzahl der FC-Schreiber nicht zu passen scheint. Es passt nicht auf die Schreiber, bei denen FC innerhalb kürzester Zeit, manchmal in der ersten Stunde, angebahnt wird (Nagy 1998, 19). Und es passt nicht auf die vielen Schreiber, bei denen die Stütze nicht ausgeblendet werden kann. Desweiteren würde das Modell voraussagen, dass der Stützereinfluß negativ mit der Dauer der Stütze korreliert – nach allem, was wir wissen, ist hingegen das Gegenteil der Fall.

Für eine Minderzahl an Schreibern scheint es jedoch zu passen, wobei dann allerdings zu fragen ist, ob es nicht einfachere Methoden gibt, Schreiben zu lehren. Zum Beispiel ist die unbewusste Handführung als Hilfe nur schwer wieder ausblendbar, da man nicht Hilfen bewusst ausblenden kann, von denen man gar nicht weiß, dass man sie gibt.

 

Steuerung der Schreiber durch die Stützer und Interaktivität der Kommunikation

Die Steuerung wird von FC-Befürwortern oft mit dem Argument bagatellisiert, dass sich auch in ganz normalen Kommunikationssituationen die Kommunikationspartner gegenseitig beeinflussen (Duchan 1993). Erfolge die Kommunikation zudem unter erschwerten Bedingungen, z.B. mit Kindern vor oder während des Spracherwerbs oder durch Methoden der Unterstützten Kommunikation, dann sei die Dominanz des lautsprachkompetenten Kommunikationspartners besonders groß. FC als eine der Methoden Unterstützter Kommunikation sei daher eben besonders anfällig für den Einfluss des Kommunikationspartners.

Sowohl die Aussage, dass Kommunikation ein interaktives Geschehen sei, als auch die Aussage, dass der unterstützende Gesprächspartners in der Unterstützten Kommunikation durch die Vorgabe der Kommunikationshilfe und durch Vorgaben bei der Kokonstruktion der Mitteilung oft den unterstützten Gesprächspartner dominiert, treffen voll und ganz zu; es sind Allgemeinplätze, die niemand bestreitet. Lediglich die Analogieschlüsse auf die Situation beim Einsatz von FC tragen nicht.

Interaktive Prozesse, in welcher Art man sie auch immer konzipiert, ob als Rückkopplungsschleifen zwischen Kommunikationspartnern oder als Aufbau eines konsensuellen Bereiches zwischen den Kommunikationspartnern, finden in der Beziehung Schreiber-Gesprächspartner statt, dort wird die Bedeutung der Äußerungen der Partner aktiv von beiden durch ihren gegenseitigen Bezug aufeinander konstruiert. Hingegen ist in der Beziehung Stützer-Schreiber jede inhaltliche Beeinflussung der Kommunikation durch den Stützer, der lediglich eine Ansteuerungshilfe darstellen soll, eine intervenierende Störvariable des Kommunikationsprozesses. Es wäre, als ob der Kugelschreiber in der Hand plötzlich aus eigenem Antrieb seine eigenen Texte schriebe oder die Textverarbeitung würde ein "Eigenleben" entwickeln und automatisch Textteile löschen und durch andere Aussagen ersetzen und zwar bevor der Gesprächspartner den Text überhaupt zu Gesicht bekommt.

In der Tat beeinflusst die gewählte Form der Kommunikation (Gebärden, Bildsymbole, Lautsprache) jeden kommunikativen Prozess. Bei FC jedoch wird die Form zum Hindernis.

Stephen von Tetzchner (1996 b), der einschlägig ausgewiesen ist im Bereich der Unterstützten Kommunikation, hat sich besonders mit dem Phänomen der Beeinflussung der Kommunikation unterstützt sprechender Menschen durch ihre Kommunikationspartner beschäftigt. Er warnt daher davor, in der Analyse der Interaktivität der FC – Dyade die Funktion des Stützers als "Verstärker" (relay) der Kommunikation des Schreibers mit der des Stützers als Gesprächspartner des Schreibers zu verwechseln. Er weist zudem darauf hin, dass Kommunikationssituationen in ungestützter aber unterstützter Kommunikation zwar die triadische Struktur der FC-Kommunikation haben, dass aber dem Stützer in der FC-Situation ungleich mächtigere Einflussmöglichkeiten im Sinne der direkten Steuerung der Handbewegungen des Schreibers offenstehen. Diese stehen ihm als Kommunikationspartner im Rahmen der unterstützten Kommunikation nicht zur Verfügung.

Freilich ist nicht wegzudiskutieren, dass beim Einsatz von FC als Kommunikationsmittel sehr wohl Kommunikation stattfindet. Kommunikation findet statt zwischen Schreiber und Stützer: Die präzise Verhaltensabstimmung zwischen Stützer und Schreiber im gemeinsamen Produktionsprozess der Texte (der Stützer denkt, der Schreiber tippt) kann schließlich nur gelingen, wenn intensiv und erfolgreich nonverbal kommuniziert wird. Es ist weiterhin zu vermuten, dass diese Interaktion, die leibliche Kommunikation zwischen Stützer und Schreiber, sich positiv auf die Befindlichkeit der Schreiber auswirken kann (Shane 1994, 315), wobei allerdings dieser Effekt auch auf direkterem Wege erzielbar wäre, z.B. mit basaler Kommunikation (vgl. Mall 1998).

 

Auswirkungen der Steuerung des Schreibers durch den Stützer

Die Steuerung durch den Stützer führt dazu, dass den FC-Schreibern fremde Äußerungen, nämlich die der Stützer, als ihre eigenen untergeschoben werden. Dass dies unabsichtlich und gegen die Intention der Stützer geschieht, ändert nichts an der Tatsache, sondern macht sie im Gegenteil noch brisanter, da damit Freiraum für Projektionen des Stützers geschaffen wird. Von Tetzchner (1996a, 160f.) weist auf die ethischen Probleme hin, die sich für die Forschung dadurch ergeben, dass sich die Stützer in mit FC produzierten Texten bezüglich ihrer Gedanken und Gefühle ungewollt offenbaren. Placeboeffekt

Wenn dem Schreiber Gedanken und Gefühle des Stützers zugeschrieben werden und dadurch dem Schreiber eine für seine Mitmenschen eher annehmbare Identität zugeschrieben wird, entsteht – so paradox das auch scheinen mag – durch diese falsche Zuschreibung erst einmal ein förderliches Milieu für weiteres Lernen und vor allem für die Entfaltung der Persönlichkeit:

" 'FC' verändert nicht nur die Situation der Behinderten, sondern auch unser eigenes Denken. Der Behinderte wird durch 'FC' als gleichwertige Person wahrgenommen. Die Wertschätzung des Behinderten wird eine andere, und damit ändert sich auch der Umgangston." (Wepil 1993).

Interessant ist das durch solche und ähnliche Zitate belegbare Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderungen. Wenn durch FC bewiesen scheint, dass der Schüler kognitiv nicht beeinträchtigt ist, dann (erst) wird mit ihm respektvoll umgegangen. Sonst nicht?

Auf diese Problematik kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. dazu die ausführliche Diskussion in Hildebrandt-Nilshon et al. 1998), festzuhalten ist, dass die Einführung von FC indirekt sehr positive Auswirkungen haben kann, weil mit "nur kommunikationsbehinderten" Menschen anders umgegangen wird als mit Menschen mit geistiger Behinderung, weil an als kompetent erlebte Schüler andere Erwartungen gestellt werden, weil ihnen andere Förderangebote gemacht werden. Zu fragen ist hier allerdings – neben der ethischen Problematik - nach der Haltbarkeit des positiven Effekts über Jahre und danach, ob diese positiven Auswirkungen nicht durch eine Vielzahl von negativen Auswirkungen überschattet werden.

 

Desorientierung der Schreiber

Beim Schreiber selbst entsteht vermutlich zunächst einmal Verwirrung, denn: "Was mag in einem schwerer behinderten, in der Verarbeitung sozialer und sprachlicher Wahrnehmungen gestörten autistischen Kind vorgehen, wenn über Monate (manchmal Jahre) Eltern und/oder Therapeuten mit ihm etwas tun, was es nicht versteht ." (Cordes 1996, 34)

Auf die Situation weniger schwer behinderter Menschen mit Autismus weist WolfenSberger (1994, 27) hin: Die Wahrnehmung, dass ihnen fremde Kommunikationen zugeschrieben werden und dass ohne ihr eigenes Zutun durch ihre Hand fremde Texte entstehen, könne zu einer Erfahrung von Irrealität führen (im Original: "delusional state"), der diesen aufgrund ihrer speziellen biographischen Situation oft psychisch verletzten Menschen weitere Verletzungen hinzufüge.

 

Zuschreibung fremder Gedanken und Gefühle

Denkbar sind eine Reihe von negativen Auswirkungen, z.B. Rollenkonflikte des Schreibers oder Probleme, die dadurch entstehen, wenn die Gesprächspartner des Schreibers über die Zeit irgendwann erkennen, dass die vermeintliche Kommunikation mit FC eine Selbsttäuschung war. Am gefährlichsten sind jedoch u. E. die direkten Auswirkungen für die Kommunikation der Schreiber, die ganz simpel dadurch entstehen, dass ich – sobald ich über den Schreiber mit dem Stützer kommuniziere –eben nicht mehr mit dem Schreiber selbst kommuniziere:

Dem Gesprächspartner wird jeder dialogische Zugang zu dem Schreiber verbaut, da er mit der falschen Person einen konsensuellen Bereich aufbaut. Ein Dialog mit dem Schreiber und die persönliche Weiterentwicklung des Schreibers können so nicht in Gang kommen.

Das paradoxe Resultat ist daher, dass genau das, was durch FC ermöglicht werden soll, durch FC nachhaltig verhindert wird.

In anderem Zusammenhang diskutiert Rödler (1998, 114) die Problematik, die entsteht, wenn in bester Absicht nichtsprechende Menschen auf die Weise integriert werden sollen, dass sprechende Menschen ihnen aufgrund ihrer Konstruktionen zuschreiben, was in ihren Köpfen vor sich gehen sollte.

"In gewisser Weise ist diese Mystifikation sogar noch vernichtender als der fachliche Blick, da sich in seinem Falle das 'Sprechen-an-Stelle-von' nur auf die je fachlich bedeutsamen Aspekte der Persönlichkeit, die Symptome bezieht, während im Fall des zweiten Beispiels (Rödler bezieht sich hier auf eine Morgenkreissituation in der ein sprechendes Kind für ein nicht-sprechendes Kind dessen vermutete Gedanken und Gefühle formuliert) die 'ganzheitlich' verstehende Hinwendung zudem auch dessen ganze Vernichtung in seiner Eigen-Art nach sich zieht."

Genau dies passiert u .E. beim Stützereinfluß: Die Chance, die mit dem anderen geteilte Welt auszuweiten, ist damit vertan.

 

Entmündigung des Schreibers bei Entscheidungen

Ein weiterer Effekt der Steuerung ist, dass sie – im Wortsinn und metaphorisch – zu einer Entmündigung des Schreibers führt, Entscheidung werden manipuliert, indem sie als Willen des Betroffenen ausgegeben werden. Dies kann sich auf so banale (aber vielleicht doch wichtige) Dinge beziehen wie die Wahl des morgendlichen Brotaufstrichs oder von Freizeitaktivitäten, aber auch auf Entscheidungen wie den Umzug vom Elternhaus in ein Wohnheim, die Aufnahme oder den Abbruch von sexuellen Beziehungen, die Wahl der Ausbildungsstätte oder des Arbeitsplatzes.

Die Entmündigung ist besonders gravierend, da die durch FC entmündigten Personen wenig Chancen haben, sich zu sträuben. Zum einen bekommen sie aufgrund mangelnder rezeptiver Sprachfertigkeiten oft gar nicht mit, was da passiert, können sich also gar nicht wehren. Zum zweiten wird von vielen FC-Befürwortern implizit vorausgesetzt, dass bei Diskrepanzen zwischen FC-Kommunikation und ungestützter Kommunikation die FC-Kommunikation die authentische sei (Twachtman-CULLEN 1997).

Während der kommunikationsbehinderte Mensch ohne FC noch die Möglichkeit hat, sich – zwar nicht in befriedigendem Umfang, aber immerhin authentisch - nonverbal oder verbal zu äußern, gerät er mit FC in die Lage, dass seine authentischen Äußerungen ignoriert werden: "Wenn Wünsche/Willensäußerungen in der speziell strukturierten kommunikativen Situation zwischen Stützer und gestütztem autistischen Menschen ‚entstehen‘, besteht die Gefahr, dass autistische Menschen in ihrer Individualität nicht mehr ernst genommen werden. Andere Menschen versuchen sie nicht mehr in ihrem Gesamtverhalten, ihren vielfältigen (nichtschriftlichen!) Äußerungen zu verstehen, sondern interpretieren etwas in sie hinein, von dem sie meinen, dass er/sie ‚wohl so ähnlich denken, fühlen, wollen könnte‘ " (Cordes 1996, 34).

FC erweitert in diesen Fällen nicht die Kommunikationsmöglichkeiten der Betroffenen, sondern versetzt andere Menschen (Stützer) in die Lage, ihre Äußerungen und ihren Willen als die Äußerungen und Willensbekundigungen des Betroffenen auszugeben.

 

Verlust an Lebenszeit und anderen Ressourcen

Die Zeit und die Mittel, die für FC aufgebraucht werden, müssen an anderer Stelle eingespart werden, da beide Ressourcen naturgemäß begrenzt sind.

Dies führt dazu, dass den Schreibern und ihren Stützern Zeit und Geld verlorengehen, die für andere Aktivitäten nutzbar wären. Dies führt zu einem Verlust an Lebensqualität:

 

Hemmung unabhängiger Kommunikation

Von Tetzchner (1996b, 12) vergleicht die Methode der Gestützten Kommunikation mit anderen Methoden unterstützter Kommunikation und stellt fest, dass die Steuerung durch den Stützer dazu führen kann, dass dem Schreiber die Freiheit genommen wird, etwas ausdrücken zu können. Dies könnte sogar dann zutreffen, wenn der Schreiber eigentlich die Fähigkeit hätte, seine eigene Mitteilung zu formulieren.

Dazu passt die Beobachtung von Bebko et al. (1996), dass bei fünf der zwanzig von ihnen untersuchten FC-Schreiber die unabhängige Kommunikation (ohne FC) besser (mehr richtige Antworten) gelang als die FC-Kommunikation mit uninformiertem Stützer. Bebko et al. bezeichnen dieses passive Antwortmuster, das nach der Einführung von FC auftauchte, mit dem Ausdruck Abdankungsmuster ("abdication pattern").

Sie vermuten, dass die Zwischenschaltung des Stützers im Kommunikationsprozess dazu führt, dass einige Schülerinnen und Schüler einen Teil ihrer Verantwortung für die Kommunikation an den Stützer abgeben, aus der aktiven Kommunikatorrolle aussteigen. Für diese Interpretation spreche auch ihre Beobachtung, dass manche Schüler unaufmerksamer und weniger aufgabengerichtet waren, wenn FC eingeführt wird. Das Interesse zu kommunizieren war möglicherweise gesunken.

Sie stellen Bezüge her zwischen ihren Ergebnissen und der Beobachtung, dass bei FC-Schreibern die Stütze kaum vollständig ausblendbar ist, sowie der Beobachtung vieler Therapeuten, dass speziell Menschen mit Autismus schnell abhängig von Hinweisreizen werden (vgl. Beukelman und Mirenda 1992, 286), so dass unabhängige Kommunikation am ehesten durch möglichst "promptfreie" Methoden angebahnt werden kann (Berkowitz 1990; Reichle et al. 1991, 173-190).

 

Verschlechterung der ungestützten Kommunikation ?

Die Verhaltensregeln für Stützer (Biklen 1993, 48) beinhalten, dass die an den Schreiber gerichtete Sprache nicht vereinfacht werden soll und echolalische Äußerungen unterbunden werden sollen.

Die erste Regel kann dazu führen, dass der Schreiber die an ihn gerichtete Lautsprache nicht mehr versteht und dadurch in seiner Sprachentwicklung gehemmt wird. Die zweite dazu, dass dem Kind aktuelle Kommunikationsmöglichkeiten und Mittel zum Initiieren und Aufrechterhalten von Kommunikation - als die Echolalie verstanden werden kann – genommen werden, was sicherlich nicht förderlich für die weitere Entwicklung der Kommunikation ist (Prizant et al., 1994).

Desweiteren wird in englischsprachigen Veröffentlichungen empfohlen, die FC-Mitteilung als die authentische zu werten, wenn sich FC-Mitteilung und ungestützte Mitteilung (verbal oder nonverbal) widersprechen (Biklen 1993; in TWACHTMAN-CULLEN 1997 findet sich eine ausführliche Beschreibung dieser Praxis). In deutschsprachigen Veröffentlichungen wird im Gegensatz dazu betont, die FC-Mitteilung sei lediglich ein Aspekt des multimodalen Kommunikationssystems des Schreibers und solle nicht andere Äußerungsformen ersetzen (Bundschuh et al.1997, Nagy 1998, Eichel 1996).

Die "deutsche" Auffassung ist u .E. für die pädagogische Praxis auch die förderlichere, da die vorhandenen Kommunikationsformen des Schreibers nicht abgewertet werden. Allerdings hat die "amerikanische" Auffassung , dass die FC-Kommunikation authentischer als ungestützte Kommunikation sei, für sich, dass sie sich logisch aus den Prämissen der FC-Befürworter herleitet: Wenn es zutrifft, dass die Schreiber ohne Stütze ihren Willen nicht in Handlungen umsetzen können (vgl. Bundschuh et al. 1997, 31), dann folgt daraus, dass ungestützt durchgeführte Handlungen, insbesondere ungestützt durchgeführte kommunikative Handlungen, nicht der Intention des Schreibers entspringen und daher nicht ihm zugeschrieben werden dürfen. Analog wie man bei jemandem, der z.B. aufgrund einer Fascialislähmung einen missmutigen Gesichtsausdruck zur Schau trägt, aufgrund dieser Mimik keine Rückschlüsse auf seine innere Befindlichkeit machen sollte, verbietet es sich auch bei Autismus – sollte es sich wirklich um eine Expressionsstörung handeln - von den Handlungen auf die inneren Zustände zu schließen.

In der Praxis wird auch in Deutschland unserer - durch Gespräche mit Stützern und Beobachtung von Schreiber-Stützer-Interaktionen gewonnenen – anekdotischen Kenntnis nach auch eher entsprechend der Logik des Systems verfahren, d.h. im Zweifelsfall wird die gestützt produzierte Äußerung als die authentische gewertet. Sogar in Lehrvideos (Hilfe für das autistische Kind o. J.) ist diese Praxis zu beobachten – nonverbale und lautsprachliche Äußerungen werden ignoriert zugunsten der FC-Äußerungen. Deshalb überrascht es wenig, wenn Bundschuh et al. (1997, 27) für den Fall, dass FC-Schreiber mit der ungestützten Hand auf Items zeigen, folgendes empfehlen: "Tritt das Störverhalten (Hervorhebungen A.B. u. I.Th.) auch nach Überprüfung der Händigkeit noch auf, bietet es sich an, den Klienten zu bitten, die störende Hand in die Hosentasche zu stecken oder sich darauf zu setzen. Ist dies nicht möglich, kann die Hand vom Stützer auch festgehalten werden."

Diese Praxis des Ignorierens vorhandener Kommunikationsformen gilt im Bereich der Unterstützten Kommunikation als Kommunikationshindernis, weil Freude und Interesse an der Kommunikation genommen werden, weil die Form über Inhalt und Funktion dominiert, weil Interaktion eingeschränkt wird (vgl. VON TETZCHER 1999).

Theoretisch müsste sie zu einer Störung der Kommunikationsentwicklung führen, zu erwarten wäre insbesondere bei FC-Schreibern einen gegenüber Nicht-FC-Schreibern verzögerte Entwicklung der nichtgestützten Kommunikation. Entsprechende Längsschnittuntersuchungen mit interpretierbaren Designs liegen u. W. leider nicht vor.

Es gibt zwei Befragungen von Stützern zur Veränderung der Lautsprache von Schreibern (Cardinal et al. 1996; Bundschuh et al. 1997); in beiden zeigen mehr als der Hälfte der Schreiber erwartungswidrig zum theoretisch Vorhersagbaren Verbesserungen in der Lautsprache. Diese Studien, beides retrospektive ex-post-facto-Studien ohne Kontrollgruppe und mit durch Selbstselektion der Schreiber/Stützer-Paare gewonnenen Stichproben, sind allerdings u .E. nicht aussagekräftig, zum einen wegen der Quelle der Aussagen (die Stützer der Schreiber), Zeit und Art der Messung der nichtgestützten Kommunikation (retrospektiv, nicht standardisiert), hauptsächlich aber deswegen, weil durch die fehlende Kontrollgruppe die interne Validität stark eingeschränkt ist (das gewählte Untersuchungsdesign erlaubt u.a. nicht die Kontrolle von zwischenzeitlichen Einflüssen, von Reifung und vom Regressionseffekt) und die externe Validität daran krankt, dass die Wechselwirkung zwischen Haupteffekt und Selektion der Probanden nicht kontrolliert wurde. In anderen Worten: Die beiden Untersuchungen erfassen selektiv vor allem nur die Fälle, in denen keine gravierenden negativen Nebenwirkungen auftraten, so dass es daher wenig erstaunt, wenn als Ergebnis der Untersuchung herauskommt, FC habe keine gravierenden negativen Nebenwirkungen.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Frage des Einflusses von FC auf die ungestützte Kommunikation diffiziler ist, als hier dargestellt werden kann. Insbesondere kann von einer Verschlechterung der ungestützten Kommunikation nicht auf die Validität von FC geschlossen werden (z.B. könnte sie bei valider FC auftreten, sei es als posttraumatische Reaktion auf die früher erlittenen kommunikativen Entbehrungen, sei es deswegen, weil der Schreiber mit FC so effektiv kommuniziert, dass er in Zukunft auf die Lautsprache verzichten möchte). Umgekehrt kann von einer Verbesserung der Lautsprache nicht auf die Validität von FC geschlossen werden, vor allem deswegen, weil die mit der Einführung der Methode einhergehenden Einstellungsänderungen der Kontaktpersonen ein förderliches Milieu für die Entwicklung der Schreiber bereitstellen können. Dies gilt auch dann, wenn FC als Kommunikationsmethode nicht funktioniert (vgl. Hildebrandt-Nilshon et al. 1998).

Festzuhalten ist, dass empirisch noch nicht zureichend geklärt ist, ob und in welchem Ausmaß sich beim Einsatz von FC die ungestützte Kommunikation verschlechtert. Es gibt theoretische Überlegungen, die dies voraussagen, und es gibt in kontrollierten Studien gewonnene Erkenntnisse, die – allerdings noch nicht hinreichende – Hinweise auf den schädlichen Einfluss von FC auf die Kommunikationsentwicklung liefern. Weitere Forschung ist hier dringend angesagt, insbesondere müsste eine mögliche Maskierung des Effekts durch die gegensinnig wirkende Placebowirkung von FC kontrolliert werden.

 

Festlegung auf eine Methode des Schreibenlernens

Eine weitere Quelle der unabsichtlichen Hemmung der Kommunikationsentwicklung durch FC sei hier nur kurz erwähnt, da es lediglich eine kleinere Teilgruppe der Schreiber betrifft, nämlich den Personenkreis, der durch FC Schreiben gelernt hat (s.o.). Es ist anzunehmen, dass diese Gruppe existent ist, denn es ist unwahrscheinlich, dass tausende von FC-Schreibern tagein tagaus mit Handführung tippen, ohne dass zumindest einige letztendlich zur Literalität kommen:

"I'd be willing to bet that most 'valid' cases of F/C are, quite simply, cases of overprompted teaching - one of the easiest mistakes to make with autistic children. If the initial goal had been to teach children to type, both the initial technique (hand-over-hand prompting) and the end result (independent typing) would be the same - but the children would probably become independent much faster, and no one would assume that anything mystical had happened.

It's time to fire the facilitators and bring in typing teachers." (Hall, 1994)

Die Frage ist hier, ob es nicht effizientere Methoden des Schriftspracherwerbs gibt als die Aneignung mittels FC (vgl. Thümmel 1999). Hildebrandt-Nilshon et al. (1998, 38) berichten z.B. von einer Schreiberin: "Das Buchstabenspiel bereitet S. große Freude und sie tippt die Buchstaben, die das Mitglied des Eval.-Teams ihr zeigt, ohne Stütze auf der Buchstabentafel. Beim Stützen bleibt sie passiv. Kaum läßt die Lehrerin Sabines Hand jedoch los, zeigt sie wieder selbständig auf den richtigen Buchstaben und ruft empört: ‚Das war’s doch!‘. Die gleiche Szene wiederholt sich einige Tage später mit einer anderen Stützperson....Sabine hat demnach viele Voraussetzungen, um in eine Entwicklung der Literalität einzusteigen. FC könnte dabei allerdings auch ein Hinderungsgrund zu sein, da damit zum einen eine falsche Vorstellung über Schreiben und Lesen vermittelt werden und zum zweiten ihre selbständige Bearbeitung von Aufgaben behindert werden kann."

Zusammenfassung

In den vorstehenden Ausführungen wurden die folgenden möglichen Konsequenzen bei der Einführung von Gestützter Kommunikation (FC) diskutiert:

Für authentische FC-Schreiber, die ohne FC genauso gut oder besser kommunizieren:

Für nichtauthentische FC-Schreiber:

Für authentische FC-Schreiber, die über FC das Schreiben gelernt haben:

Für authentische FC-Schreiber, die mit FC besser kommunizieren als ohne:

 

 

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