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Kriminalitätseinstellungen und Radikalisierung
Kriminalität ist mehr als nur ein Wort: Sie beeinflusst Lebensqualität, alltägliche Verhaltensweisen und die (Selbst-)Wahrnehmung der Gesellschaft als Ganzes. Sahen bereits soziologische Vordenker wie Quetelet oder Durkheim Delinquenz als „normale“ Begleiterscheinung der menschlichen Zivilisation, liegt das Problem der heutigen, pluralistischen Gesellschaft nach wie vor darin, wie wir mit ihr umgehen. Dabei bilden wir uns unsere Meinung nicht autark: mediale Informationen beeinflussen unsere Rezeption.
Statistische Daten zeigen, dass sich die Besserung der objektiven Sicherheitslage nicht in einem höheren subjektiven Sicherheitsempfinden widerspiegelt. Und unsere Interpretation der Realität entscheidet letztlich über unsere Handlungen, unabhängig von der objektiven Veranlassung, mit allen realen Konsequenzen.
Die Theorie liefert uns Erklärungsansätze, woher unser Unsicherheitsempfinden stammt: Die Viktimisierungsperspektive bezieht sich individuelle Opfererfahrungen sowie verfügbare Coping-Ressourcen, um mit Delinquenz umzugehen. Die Soziale-Problem-Perspektive beschäftigt sich mit der Konstruktion von Verhalten als Problem durch Multiplikatoren, wie z.B. den öffentlich-medialen Diskurs. Die Soziale-Kontroll-Perspektive erkennt Zeichen der gesellschaftlichen Desorganisation, wie z.B. Müll auf den Straßen oder Graffiti, als Symbol für mangelnde soziale Kontrolle, die letztlich das Vertrauen in staatliche Organe, als Repräsentanten der Gesellschaft zur Gewährleistung von Sicherheit, erschüttern können.
Hieraus speisen sich zum einen soziale Einstellungen der Bevölkerung, welche Kriminalität als gesellschaftliches Problem begreifen. Ein Beispiel wäre die Punitivität als Abbild sozialer Werthaltungen. Zum anderen auch personale Einstellungen, welche die individuelle Betroffenheit bündeln. Kognitiv wird das Viktimisierungsrisiko eingeschätzt: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Opfer werde? Und wie sind meine Ressourcen, damit umzugehen? Je negativer diese Aspekte beurteilt werden, desto gewichtiger erscheint die affektive Komponente: Die Furcht vor Kriminalität. Diese führt zum konativen Schutz- und Vermeideverhalten: Gehe ich nachts mit einem unsicheren Gefühl durch bestimmte Gegenden? Andere Forscher stützen die Generalisierungsthese. Diese besagt, dass sich Furcht vor Kriminalität nur an diesem Gegenstand artikuliert, die Ursachen jedoch in unausgesprochenen unterschwelligen Existenzängsten zu verorten sind. Da diese Ängste in prekären Lebenslagen ausgeprägter sind, könnte der Staat seine Bürger u.a. durch funktionale Sicherungssysteme vor Kriminalitätsfurcht schützen und sie davon abhalten, sich vom Rechtsstaat abzuwenden, um radikalen Schwarz-Weiß-Lösungen zu folgen. In Zeiten reflexiver Modernisierung bedarf es vertrauenswürdiger, demokratischer Akteure, in denen man sich repräsentiert sieht.
Das Habilitationsprojekt soll herausfinden, welche individuellen und sozialen Faktoren einen Einfluss auf soziale und personale Kriminalitätseinstellungen zeigen. Vor wem oder was hat man Angst, und warum? Schließlich soll eruiert werden, ob Kriminalitätsfurcht, als Folge von Vertrauensverlust in die Fähigkeit staatlicher Institutionen zur Ausübung sozialer Kontrolle, als Motor zur Abkehr vom freiheitlich-demokratischen Wertekonsens fungiert, und welche Faktoren in diesem Zusammenhang individuelle oder kollektive Radikalisierungsprozesse begünstigen bzw. verhindern.