Die Kunst des Widerspruchs: Fachtag zu Protestkulturen und Demokratie

Welche Rolle spielt Protest für die Herausbildung einer informierten und kritischen Öffentlichkeit in der Demokratie? Welche Protestkultur wird für ein produktives Miteinander benötigt? Bedarf es einer neuen Protestkultur in Zeiten, in denen die Demokratie durch Populismus und Radikalisierung herausgefordert wird? Denn es scheint, dass sich gerade demokratiefeindliche Strömungen etablierter Protestformen bedienen, um demokratische Strukturen zu unterminieren.
Schwerpunkte des Fachtags bilden der Vergleich unterschiedlicher Protestformen, zum Beispiel Performance, ziviler Ungehorsam, Straßenproteste, die mediale Vermittlung, beispielsweise anhand der Visualisierung von Protest, und die historische Einordnung von Protest als Mittel zur Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit. Der Fachtag möchte Protest als besondere Kommunikations- und Interventionsform demokratischer Gesellschaften thematisieren, die auf eigene Weise zur politischen Teilhabe ermutigen kann.
Der Fachtag wird veranstaltet von der Transferstelle des Fachbereichs Philologie/Kulturwissenschaften der Universität Koblenz, dem Institut für Kunstwissenschaft der Universität Koblenz und dem Neuen Kunstverein Mittelrhein (NVKM) in Kooperation mit dem Innenstadtmanagement der Stadt Koblenz. Die Veranstaltung wird gefördert durch die Partnerschaft für Demokratie Koblenz im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch das Kultur- und Schulverwaltungsamt der Stadt Koblenz. Der Neue Kunstverein Mittelrhein initiiert parallel zum Fachtag einen Schüler*innenworkshop mit den Radikalen Töchtern, der von der Sparkasse Neuwied und dem Rotary Club Neuwied-Andernach gefördert wird.
Darüber hinaus steht der Fachtag in diesem Jahr im Zusammenhang zum Projekt „Entfestigung. Architektur, Performance und politische Aktion“, das gemeinsam vom Künstlerverein AKM und dem Neuen Kunstverein Mittelrhein organisiert wird. Weitere Partner sind das Künstlerhaus Schloss Balmoral, die Hochschule für Musik Mainz, die Universität Koblenz sowie das Institut für künstlerische Keramik & Glas.
Das weitere Programm des Projekts findet sich unter: https://www.akm-koblenz.de/index.php/2025/06/03/entfestigung/, zusätzliche Informationen zum Fachtag und zur Anmeldung finden sich unter: uni-ko.de/fachtag25
Hintergrund
Die häufig wahrgenommene Krise der repräsentativen Demokratie wirft Fragen nach neuen Formen politischer Teilnahme auf. Protest ist hierbei ein essentieller Bestandteil demokratischer Gesellschaften, der dazu verhelfen kann, neue Handlungsräume zu eröffnen. Er macht Probleme sichtbar, wirft Fragen der Gerechtigkeit auf und prägt das öffentliche Bewusstsein. Protest hat ein besonderes schöpferisches Potential, das ihn attraktiv für vielfältige Formen der Partizipation macht: von Straßenprotesten, über Plakate, Performances bis hin zu digitalen Formen des Protests.
Protest bedient sich immer wieder künstlerischer Ausdrucksformen und umgekehrt setzt sich die Kunst immer wieder mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinander, was zur übergreifenden Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Politik führt. Gerade die kritisch-politische Dimension der Kunst bewirkt eine Hinterfragung etablierter Denkmuster und kann zu einem politischen Tätigsein im Sinne Hannah Arendts motivieren. Die vielfach angesprochene schweigende Mehrheit kann so neue Wege finden, eine eigene Stimme zu finden, Demokratie zu leben und sich für ein konstruktives Miteinander einzusetzen.
Programm
10:00 Ankommen und Welcome Rezeption
10:15 Begrüßung und Anmoderation
· Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Neuhaus (Dekan des Fachbereichs Philologie/Kulturwissenschaften und Professor für Neuere deutsche Literatur, Universität Koblenz)
· JProf. Dr. Lisa Beißwanger (Institut für Kunstwissenschaft) und Jasmin Brötz (Transferstelle FB 2)
10:30 zwei Beiträge aus Forschung und Praxis sowie Rückfragen und Diskussion
· Prof. Dr. Christian Geulen (Institut für Geschichte, Universität Koblenz): Wer ist das Volk? Über demokratischen Protest in populistischen Zeiten
· Cosima-S. Schulze (Hochschule für Gesellschaftsgestaltung): Unter dem Pflaster liegt Musik – Zum Projekt „Abpflastern“ der HfGG
11:45 Pause
12:00 Keynote zum Themenbereich Visualisierung von Protest
· Dr. Dorna Safaian (Autorin, Kunst- und Medienwissenschaftlerin, Berlin): Repräsentation und Mobilisierung – Zur Visualisierung von Protest am Beispiel von „Frau Leben Freiheit“
12:30 Diskussion und Rückfragen aus dem Publikum
13:00 Mittagspause
14:00 Impulsvortrag zum Themenbereich Kunst und ziviler Ungehorsam:
· Isabel Gahren und Kasia Wojcik (Radikale Töchter, Berlin): Mut- Muskel Impuls
15:30 Diskussion und Rückfragen aus dem Publikum
16:00 Pause
16:15 Gruppenarbeit im World Café: In Aktion kommen – Wofür lohnt es sich, sich in Koblenz einzusetzen?
17:30 Feedbackrunde
18:00 Ende
------------------INFORMATIONEN ZU DEN REFERENT*INNEN---------------
Kurzbiographie
Christian Geulen, Professor für Neuere und Neueste Geschichte und ihre Didaktik an der Universität Koblenz. Studierte Geschichte und Sozialwissenschaften an den Universitäten Münster, Bielefeld und an der Johns Hopkins University, Baltimore. Gastwissenschaftler in Freiburg, Potsdam, Zürich, Washington D.C. und Stanford. Forschungsgebiete: Moderne politische Ideologien wie Nationalismus, Rassismus, Imperialismus, Begriffsgeschichte und Historische Semantik, Wissens- und Wissenschaftsgeschichte, Geschichtstheorie.
Abstract: Wer ist das Volk? Über demokratischen Protest in populistischen Zeiten
In der Bundesrepublik wurde immer schon gelehrt, dass die Demokratie von Demokraten lebt, dass sie keine Herrschafts-, sondern eine Lebensform ist, die aus dem Volke erwächst – durch Engagement, Aktivismus und auch Protest. Heute aber hat sich vor allem der Populismus diese Lehre zu eigen gemacht und fordert einen Umbau der Demokratie im Namen des Volkes. Das wirft die für Demokratien zentrale Frage auf: Wer oder was genau ist das Volk?
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Kurzbiographie
Cosima-S. Schulze ist Masterstudentin im Studiengang „Ökonomie – Nachhaltigkeit – Gesellschaftsgestaltung“ an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung (HfGG) in Koblenz. Aufbauend auf ihrem Geographiebachelor, den sie in Freiburg absolvierte, forschte sie am Fraunhofer Institut zu transformativer Energieversorgung in Städten. Nun bringt sie sich neben weiteren aktivistischen und studienbezogenen Tätigkeiten bei dem Hochschulprojekt „Abpflastern“ ein. Hierbei nutzt sie die Musik als künstlerische Protestform.
Abstract
Wem gehört eigentlich die Stadt Koblenz? Wer nutzt sie auf welche Weise? Und welche Möglichkeiten, bestehende Ungleichheiten sichtbar zu machen und aufzubrechen, gibt es? Das Projekt „Abpflastern“ nimmt unter anderem diese Fragen in den Blick und möchte durch einen spielerischen Wettbewerb Städte und Gemeinden für die Entsiegelung ermutigen. Der Vortrag geht sowohl auf inhaltliche als auch praktische Komponenten der Entsiegelung ein. Explizit werden künstlerische Ausdrucksformen als Protest und Mittel zur Sprachlichkeit diskutiert.
Kurzbiographie
Dr. Dorna Safaian ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin. Sie war unter anderem wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich „Helden Heroisierungen Heroismen“ der Universität Freiburg und im DFG-Projekt „Bilder der Empörung. Amateurpraktiken der Visualisierung von Protest“ (Universität Siegen/Technische Universität Berlin). Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind unter anderem politische Bildwissenschaft, digitale Bildwelten sowie die visuelle Kultur von Protest und sozialen Bewegungen.
Abstract
Repräsentation und Mobilisierung – Zur Visualisierung von Protest am Beispiel von „Frau Leben Freiheit“
In Protestbewegungen übernehmen visuelle Medien zentrale Funktionen: Sie vermitteln Missstände, erzeugen öffentliche Aufmerksamkeit, stiften gemeinschaftliche Emotionen und tragen zur Formierung kollektiver Selbstbilder bei. Der Vortrag nimmt die iranische Protestbewegung „Frau, Leben, Freiheit“ zum Ausgangspunkt, um das visuelle Handeln von Protestbewegungen – insbesondere unter autoritären politischen Bedingungen – zu untersuchen. Im Fokus steht dabei die Rolle von Bildern in sozialen Netzwerken als Mittel der Politisierung, der Mobilisierung und der Entwicklung eigener Symboliken.
Referent*innen: Isabel Gahren und Kasia Wojcik (Radikale Töchter, Berlin)
Titel: Mut-Muskel-Workshop
Text: Die Welt braucht neue radikale Ideen und Maßnahmen, wenn sie ihre Herausforderungen und Probleme lösen will. Vor allem aber braucht sie eines: Mehr Mut! Deswegen trainieren wir in unseren Workshops gemeinsam unseren Mutmuskel. Wir vermitteln Ansätze der Aktionskunst und des künstlerischen Aktivismus. Wir erzählen von Aktionen, unseren Methoden der Aktionskunst, Visionen und Banden bilden und inspirieren damit selber ins Handeln zu kommen. Mit den Mitteln der Aktionskunst befähigen wir dich deine Anliegen und Ziele zu formulieren und Wege zu entwickeln, diese zu erreichen. Ein politischer, kreativer, aktivierender Workshop als Inspiration für die eigene Haltung.
Biographie Radikale Töchter:
Seit 2019 inspirieren Radikale Töchter in ihren Workshops zu wirkungsvollen, außergewöhnlichen Formen der politischen Teilhabe. Ihr Trainingsplan aus Aktion, Kunst und Politik ist darauf ausgerichtet, den Funken zu entfachen – zu zeigen, wie einfach es sein kann, ins Handeln zu kommen. Für eine kritische Masse junger Menschen, die wieder leidenschaftlich brennt: Für Demokratie. Für Menschenrechte. Für soziale Gerechtigkeit. Für Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.