Forschung

Forschung

im Fachbereich 2

Forschungsprofil des Fachbereichs Philologie/Kulturwissenschaften

Unser Selbstverständnis

Geistes- und Kulturwissenschaften generieren ihren Nutzen nicht durch technische Anwendung, sondern durch gesellschaftliche Relevanz. Sie produzieren Orientierungs- und Vermittlungswissen, das sich direkt an die Gesellschaft – regional, national und international – richtet, politische und soziale, aber auch wirtschaftliche und technische Entwicklungen kritisch begleitet, eine öffentlich beratende Funktion hat und zugleich als „Bildung“ in die nächsten Generationen getragen wird. Und wer würde behaupten, dass diese Art von gesellschaftsrelevantem Orientierungswissen nicht gerade heute bitter nötig ist?

Die Demokratie, noch vor 20 Jahren als selbstverständlich beste Staats- und Gesellschaftsordnung betrachtet, steht heute vor den größten Anfeindungen und Herausforderungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Ausgestorben geglaubte Ideologien wie Nationalismus, Rassismus, Populismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus kehren wieder und sind auf massivem Vormarsch, global wie regional. Der Klimawandel erzeugt weitere tiefgreifende soziale Friktionen. Auf allen Ebenen – international, europäisch, national und auch regional – bröckelt oder bricht der gesellschaftliche Zusammenhalt. Die ökonomischen Krisen häufen sich. Die Digitalisierung schafft neue Bedingungen gesellschaftlicher und politischer Kommunikation, deren Folgen noch lange nicht abschätzbar sind. Die Suche nach Orientierung verlagert sich zunehmend in mediale Subräume. Die Öffentlichkeit macht einen massiven Strukturwandel durch. Die Migration verändert das Modell des kulturell homogenen Nationalstaats. Religions- und Glaubenskonflikte brechen auf. Und zugleich sorgt die weiterlaufende Globalisierung dafür, dass sich nicht nur Wirtschaft und Verkehr, sondern auch die gesellschaftlichen und kulturellen Probleme und Konfliktpotenziale verflechten und vervielfachen.

Auch die aktuelle sog. Corona-Krise zeigt massive Asymmetrien und Schwierigkeiten in der Kommunikation und Vermittlung zwischen Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur, die nicht eindimensional, etwa technisch, zu lösen sind. Eben darauf richtet sich das von den Geistes- und Kulturwissenschaften produzierte Orientierungs- und Vermittlungswissen; ein Wissen, das neue Einsichten hervorbringt und zugleich neue Wege vorschlägt, diese Erkenntnisse in neue Wissenspraktiken umgesetzt werden; ein Wissen, das anwendungsorientiert ist, ohne Auftragswissenschaft zu sein. Dieses Orientierungs- und Vermittlungswissen steht im Zentrum sowohl der forschungsorientierten Lehrkräftebildung als auch der vielfältigen und langjährigen Kooperationen der entsprechenden Fachbereiche mit Stadt und Region in den Bereichen Kultur, Bildung, Schule, Integration und kulturelles Erbe (Funk, Funk-Azubi, KuLaDig, Ada-Lovelace-Projekt, Change-Projekt, Wochen der Demokratie u. v. m.).

Forschungsschwerpunkt Kultur und Vermittlung

Kultur ist essentiell für unsere Gesellschaft und ihre Teilbereiche wie Politik, Wirtschaft, Technik, Bildung, Religion, Erziehung und Alltag, die von Menschen hervorgebracht, zwischen Menschen verhandelt und durch Menschen verändert werden. Wissen, Transformation und Innovation sind immer geprägt durch Formen der Wahrnehmung, der Sprache, des Glaubens, der geschichtlichen Erfahrung und der imaginären Erwartung. Nur durch Kultur kann Gesellschaft vermittelt werden. Und nur durch Vermittlung kann sie verändert werden. Die Kultur, auch historisch als kulturelles Gedächtnis, ist die Basis für die Demokratiefähigkeit der Gesellschaft. Auf diese inneren Dimensionen der kulturellen Vermittlung gesellschaftlicher Wirklichkeit richtet sich der interdisziplinäre Blick der Kulturwissenschaften. Sie fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wissen, Transformation und Innovation sowie nach den kulturellen, sozialen und medialen Bedingungen ihrer Vermittlung. Das geschieht in direkter Erforschung von Vermittlungskulturen, ihren Formen, Potenzialen und Grenzen, in Kooperation mit den anderen Profilbereichen der Universität Koblenz und in Form der eigenen Vermittlungsarbeit in der Region Koblenz durch Zusammenarbeit mit regionalen und kommunalen Institutionen.

Forschungsschwerpunkt Deutungen von Welt

Es gehört zu den unhintergehbaren Einsichten der oft als Moderne bezeichneten Zeit seit der Aufklärung, dass Menschen nicht in einer einzigen Wirklichkeit leben, sondern in unterschiedlichen, sich ergänzenden oder miteinander konkurrierenden Wirklichkeiten. Kulturelle Filter, normative Entwürfe, traditionelle Prägungen oder initiierte Fortschrittsszenarien konstituieren verschiedene Perspektiven auf unsere Welt. Die Moderne hat sich von einem übergreifenden Weltbildholismus verabschiedet, es gibt keinen für alle verbindlichen Realismus. Pluralismus ist daher ein entscheidendes Signum.

Die Geistes- und Kulturwissenschaften unternehmen den Versuch, auf den Pluralismus ebenso multiperspektivisch und somit interdisziplinär zu reagieren und die Profilierungen der verschiedenen Wirklichkeiten von Sinn nachzeichnend zu verstehen und ggf. kritisch zu kommentieren: durch empirische Erhebungen, Rekonstruktionsversuche, hermeneutische Interpretationen, kritische Analysen, historische Vergleiche usf. Dabei geht es um Wissensfelder der Kultur- und Naturwissenschaften ebenso wie um Interpretationen realer medialer und fiktiver literarischer Welten, um Alltagskulturen oder religiöse Orientierungen, Geschlechternormen und mit ihnen verknüpfte Institutionalisierungsformen ebenso wie um Fragen von Ethik. Der Schlüssel bleibt dabei stets das menschliche Bedürfnis, die eigenen Wirklichkeiten zu (er)leben und zu deuten, in einer zunehmend globalisierten, durch kulturelle Hybridität gekennzeichneten Welt. Diese Deutungsformen bringen ebenso unterschiedliche Perspektiven auf Wirkliches hervor (der Mond kann sowohl Gegenstand eines Gedichts wie einer physikalischen Untersuchung sein). Das pragmatische Interesse der geistes- und kulturwissenschaftlichen Deutungsversuche ist das Angebot einer besseren Orientierung und Problematisierung.

Nicht erst die Hermeneutik als Lehre vom Verstehen (Friedrich Schleiermacher, Hans Georg Gadamer u.a.) hat die Frage nach der Bedeutung von Sinnstiftungsprozessen aufgeworfen. Karl Marx hat daher einmal programmatisch und vielleicht auch ein wenig spöttisch festgestellt: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Doch auch Marx liefert nur eine weitere Deutung, die in den Kulturwissenschaften zwar nachhaltige Wirkungen hinterlassen hat, dabei allerdings nicht immer geteilt wird. Wenn Goethes Figur Faust versucht, das Johannesevangelium (Joh 1,1) ins Deutsche übertragend, die Sinnhaftigkeit des (seines) Lebens näher zu bestimmen, indem er logos zunächst mit Wort, dann mit Sinn, anschließend mit Kraft und schließlich mit Tat übersetzt, dann zeigt dies auch, wie komplex unser Verhältnis zu der uns umgebenden Welt ist.

Die Subjektivität jeder Deutung, mithin den Konstruktionscharakter von Welt haben Peter L. Berger und Thomas Luckmann 1966 in ihrem Wissenschaftsklassiker The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge erläutert und ihnen haben viele andere vorgearbeitet, etwa Sigmund Freud, der schon 1899 im Titel seiner Studie Die Traumdeutung psychische Verarbeitungsprozesse als entscheidend für die Wahrnehmung, mithin Deutung der eigenen (Um-)Welt beispielhaft herausgearbeitet hatte. Dass allgemein verbindliche Deutungen letztlich unverfügbar sind, kann spätestens seit der Verbreitung von dekonstruktivistischen Theorien (Jacques Derrida, Michel Foucault, Judith Butler…) als Konsens in den Kulturwissenschaften gelten. Die vielfältigen Varianten der Cultural Studies haben diese Einsicht auf etlichen Anwendungsfeldern (Media Studies, Governmental Studies, Postcolonial Studies, Gender Studies etc.) empirisch fundiert.

Dabei verbleiben auch subjektive Deutungen schon durch ihre Verwendung von Logik und Sprache nicht im Bereich des einzelnen Subjekts, sondern stehen in einem Horizont des Allgemeinen, der sie zum Objekt der Kommunikation und begründungspflichtigen Darlegung macht. So treten die verschiedenen Deutungen von Welt in einen sich gegenseitig ergänzenden, aber möglicherweise auch um eine angemessene Deutung konkurrierenden Austausch, der für jede wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Weltdeutungen konstitutiv ist.

Zusammenfassend gesagt: Die Kulturwissenschaften vermitteln (immer grundsätzlich als prozesshaft verstandenes) Wissen über Deutungen von Welt und sie vermitteln zwischen Deutungsprozessen, indem sie jede Art von Deutung in den Blick nehmen, in allen möglichen Äußerungen, sei es in Massen- oder Netzmedien, in den Künsten oder in der beobachtbaren Realität.

Zu den einzelnen Perspektiven im Fachbereich sei noch ausgeführt:

Die Theologien reflektieren Deutungen von Welt im dialogischen Spannungsverhältnis von Mensch, Welt und Gott mit dem Ziel, die Glaubensinhalte der menschlichen Vernunft gegenwarts- und zukunftsorientiert zu vermitteln. Dazu setzen sie sich sowohl mit religiösen Traditionen als auch aktuellen Debatten auseinander. Das religiöse Verständnis von Welt als Schöpfung und Raum göttlicher Offenbarung bedenkt eine nicht einholbare Vorgabe und artikuliert damit eine eigenständige Struktur von Weltdeutung.

Die Philosophie forscht im Spannungsfeld zwischen kultureller Sinnbildung und objektiven Geltungsansprüchen. Dabei hat sie besonders die Werte und Normen moderner, pluralistischer Gesellschaften kritisch im Blick. Hintergrund aller Fragen in der praktischen und der theoretischen Philosophie ist die evolutionär entstandene und sich in vielfältigen Kulturen konkretisierende menschliche Lebensform des verkörperten Geistes. Daraus ergibt sich die besondere Bedeutung der philosophischen Anthropologie. Sie ist schon im Ansatz interdisziplinär und arbeitet mit den Geschichtswissenschaften, mit Soziologie und Psychologie ebenso zusammen wie mit den Kognitionswissenschaften und der Evolutionsforschung. Die hermeneutische Tiefendimension der kulturellen Sinnfiguren mit ihren sich historisch wandelnden Bewusstseinsformen nimmt sie ebenso in den Blick wie die evolutionäre Konstitution des Menschseins. Damit bezieht sie die Vielfalt kultureller Weltdeutungen auf ein ethisch reflektiertes, historisch sensibles und naturwissenschaftlich informiertes Verständnis des Menschen.

Die Geschichtswissenschaften beschäftigen sich mit den Deutungen vergangener Welten und den Spuren, die diese in der Gegenwart hinterlassen haben. Sie gehen davon aus, dass die Vergangenheit nicht einfach ‚gegeben‘ ist, sondern durch Auswahl, Perspektive und Narration stets neu konstruiert wird. Quellen sind dabei keine neutralen Zeugnisse, sondern Ergebnisse von Kommunikationsprozessen, die bereits selbst Deutungen enthalten. Jede historische Darstellung steht daher in einem Spannungsfeld zwischen Rekonstruktion und Konstruktion: Einerseits bemüht sie sich um Nachvollziehbarkeit und Begründung, andererseits ist ihr bewusst, dass ihr Zugriff auf die Vergangenheit unabschließbar ist. So wird Geschichte zu einem besonderen Ort der Sinnbildung, der sich immer auch seiner eigenen Bedingtheit bewusst ist. Die Geschichtswissenschaften deuten die Welt, indem sie zeigen, wie Menschen in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen ihre Welt gedeutet haben. Damit stellen sie zugleich unser eigenes Verständnis von Gegenwart und Zukunft zur Diskussion.

Die Linguistik untersucht die Formen, Funktionen und Wirkungen von Sprache als grundlegendes Medium der Weltdeutung. Sie fragt danach, wie Bedeutungen entstehen, wie sie ausgehandelt, stabilisiert oder verändert werden und wie sprachliche Strukturen Wahrnehmungs- und Denkprozesse präfigurieren. Von der Analyse alltäglicher Kommunikation über die Untersuchung historischer Sprachformen bis zur Erforschung digitaler Diskurse zeigt die Linguistik, dass Welt nicht nur beschrieben, sondern durch Sprache mit geschaffen wird. Sprache erscheint damit als Medium, Werkzeug und Bedingung von Erkenntnis zugleich – und jede Deutung von Welt ist in ihren Möglichkeitsbedingungen selbst linguistisch situiert.

Musik als ein zentrales Mittel von Identitätsbildung und menschlichem Ausdruck wird von der Musikwissenschaft historisch und in aktuellen Kontexten sowohl kompositionsgeschichtlich als ästhetisch, soziologisch und im Blick auf musikkulturelles Handeln untersucht. Die Musikpädagogik ist darauf ausgerichtet, musikalische Praxen in ihrer Vielgestaltigkeit äshtetisch erfahrbar zu machen. Hierzu gehören eigenes Musikmachen ebenso wie rezeptive, transformative und reflexive Zugänge, einschließlich der Entwicklung ästhetischen Urteilsvermögens. Weder in der Musikwissenschaft noch in der Musikpädagogik werden unterschiedliche musikalische Gattungen und Genres hierarchisch wertend betrachtet, sondern ihre Geschichte, Rollen und Funktionen in unserer Welt werden analysiert.

Die Kunstwissenschaft beschäftigt sich, ausgehend von ästhetischen Phänomenen und künstlerischen Prozessen, mit überlagernden gesellschaftlichen und sozialen Praktiken, Materialitäten und Körpern sowie Prozessen, Normierungen, Kontexten und Infrastrukturen. Aktuelle Herausforderungen werden im Spannungsfeld gesellschaftlicher und ästhetischer Produktions-, Distributions-, Präsentations- und Rezeptionsverhältnisse sowie in Bezug zu Analyse, Erfahrungs-, Handlungs- und Bildungshorizonten vermittelt und in Beziehung zu kunstwissenschaftlichen, kunsthistorischen und kunstpädagogischen Kontexten sowie einer künstlerischen Praxis erforscht.

Literarische Texte schaffen eigen-sinnige Welten und sind gleichzeitig Entwürfe, Inszenierungen und Ausgestaltungen von Weltdeutungen. Die Literaturwissenschaften beschäftigen sich mit solchen fiktiven Welten, die in einem Möglichkeitsverhältnis zur realen Welt stehen und die durch ihre prinzipielle Deutungsoffenheit einen überzeitlichen (literarische Texte und Filme provozieren unterschiedliche, zeit- und kontextabhängige Deutungen), ebenso kreativen wie kritischen Umgang mit Realitätspartikeln ermöglichen. Kritische und analytisch grundierte Deutungen und Bedeutungskonstruktionen literarischer Weltentwürfe zeigen die Pluralität und das Potential (sprach-)ästhetischer Verhandlungen und Aushandlungen von Wirklichkeit.

Die Medienwissenschaft erforscht das Hervorbringen und Aushandeln von Medienkultur(en) in unterschiedlichen Bereichen der Medienkommunikation. Auf der Basis grundlegender Perspektiven aus Medientheorie und Mediengeschichte liegen die Schwerpunkte in Lehre, Forschung und Transfer auf der ‚multimodalen Diskursforschung‘, sprich der systematischen Analyse des Zusammenspiels von Sprache, (bewegten) Bildern und Ton in politischen Mediendiskursen, insbesondere in Social Media, und darauf aufbauend der Vermittlung vielseitiger medienpraktischer Kompetenzen (‚multimediales Storytelling‘), der interkulturellen Analyse von Medien(systemen), Medienkulturen und Medienformaten sowie (kulturspezifischen) Formen der ‚Medienaneignung‘.

Die Politische Wissenschaft nimmt Phänomene und Weltdeutungen in den Blick, die sich auf die eine oder andere Weise als politisch oder zumindest als politisierbar bezeichnen lassen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Dinge grundsätzlich auch anders sein könnten, als sie aktuell gestaltet sind oder erscheinen. Das Spektrum reicht von gesellschaftlichen Institutionen über Diskurse bis hin zu Selbstverhältnissen; Beispiele reichen von Geschlechternormen über globale Machtverhältnisse bis hin zu Grenzregimen und die sich darum rankenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

Kooperationen

Wir forschen in einem urbanen und regionalen Umfeld, das für kulturwissenschaftliche Kooperationen hervorragend geeignet ist: Trotz relativ geringer Einwohnerzahl verbinden sich in Koblenz historisch und institutionell wie in kaum einer anderen vergleichbaren Stadt die nationale und bundespolitische Ebene (Bundesarchiv, Bundeswehr etc.) und die Landesebene (Landeshauptarchiv, Landesbibliothekszentrum, Landesmuseum, Oberlandesgericht etc.) mit einer gewachsenen städtischen Kultur und Politiktradition.

Wir arbeiten daher in der Forschung eng mit diesen und weiteren Institutionen zusammen.

Forschungsdatenbank SciPort

Über die individuellen Forschungsaktivitäten der im Fachbereich 2 tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler informiert die Forschungsdatenbank des Landes Rheinland-Pfalz, SciPort. Dort wie auch auf den Homepages der einzelnen Institute und den dort verlinkten persönlichen Seiten der Forscherinnen und Forscher finden Sie umfangreiche Informationen über Projekte und Publikationen an unserem Fachbereich.

Abgeschlossene Promotions- und Habilitationsprojekte