Forschung
Meine Forschung ist an der Schnittstelle von Politischer Theorie, Gender Studies und Kulturwissenschaft angesiedelt. Im Rahmen unterschiedlicher Aufsatz- und Buchprojekte ist sie aktuell vor allem von zwei Grundanliegen geprägt.
Das erste diese Anliegen besteht darin, postkoloniale Theorieperspektiven in die Politische Theorie (und benachbarte Disziplinen und Teildisziplinen) einzutragen. Politiktheoretische Debatten über Phänomene wie Demokratie, Migration, Entwicklung oder Geschlecht sind nach wie vor weitgehend von methodologischem Nationalismus und Eurozentrismus geprägt; die Welt, in der wir leben, wird dort in der Regel nicht als postkoloniale Welt gedacht. Seit über zwei Jahrzehnten verfolge ich in unterschiedlichen Texten das Ziel, auszuloten, wie sich die Dinge darstellen, wenn eine postkoloniale Analyseperspektive eingenommen wird. Eine solche Perspektive impliziert die Analyse und Kritik von Eurozentrismus und den unterschiedlichen Formen von Rassismus und ein Augenmerk für globale Ungleichheiten und ihre historische Genese. Aber auch globale Verflechtungen und Interdependenzen in Geschichte und Gegenwart kommen in den Blick. Aktuell arbeite ich an verschiedenen Aufsätzen in diesem Bereich, die perspektivisch in eine Monographie mit dem Arbeitstitel "Konturen einer postkolonialen politischen Theorie" zusammengeführt werden sollen. Auch das weitgehend abgeschlossene drittmittelfinanzierte Forschungsprojekt "Diversität, Macht und Gerechtigkeit" ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Hier werden postkoloniale Theorieperspektiven und Ansätze aus dem Feld der komparativen Politischen Theorie bzw. der interkulturellen Philosophie verbunden. Ein Folgeantrag ist in Planung.
Das zweite Grundanliegen meiner Forschung sind Arbeiten und Interventionen im Bereich der transdisziplinären feministischen Theorie. In den vergangenen Jahren habe ich mich in diesem Zusammenhang vor allem mit Fragen und Perspektiven der Intersektionalität beschäftigt. Mein aktuelles Buchprojekt in diesem Bereich widmet sich Perspektiven der feministischen Religionskritik in einer postsäkularen und von Heterogenität geprägten Welt. Das Projekt schließt an frühere Arbeiten zur Geschlechtertheorie des Vatikans an (in: Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus, Campus 2009) und führt Überlegungen aus einem 2020 in der Zeitschrift Feministische Studien veröffentlichten Aufsatz weiter. In einem Podcastbeitrag (Episode 2: Feminist Critiques or Religion), der im Kontext der Forschungsgruppe "Global Contestations of Women's and Gender Rights" am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) entstanden ist, umreiße ich erste Überlegungen zu diesem Buch.
Gemeinsam mit drei Ko-Autorinnen, aktuell oder ehemals Mitarbeiterinnen des Koblenzer Seminars für Politische Wissenschaft, schreibe ich derzeit ferner das Buch "Gender Studies zur Einführung" für den Junius-Verlag.
AKTUELLE BUCHPROJEKTE
Elemente einer postsäkularen feministischen Religionskritik
Das Buch „Elemente einer postsäkularen feministischen Religionskritik" ist als Intervention in die aktuelle Auseinandersetzung um Religionen und Geschlecht konzipiert und verfolgt das Ziel, unterschiedliche feministische Diskursstränge in diesem Feld, die derzeit nebeneinander herlaufen, in einen Dialog zu bringen. Das Buch antwortet dabei zum einen auf zunehmend sichtbare Kooperationen zwischen religiösen und parteipolitischen rechtskonservativen Kräften, die sich gegen Formen und Forderungen geschlechtlicher Gleichstellung richten; zum anderen ist es bestrebt, aktuelle Arbeiten aus der weitgehend nichtreligiösen Geschlechterforschung zu diesen Tendenzen mit feministischen Positionen aus den unterschiedlichen Theologien zusammenzuführen. Religion ist ein Thema, das bislang in weiten Teilen von Feminismus und Geschlechterforschung selten im Zentrum stand. Ausnahme ist – neben den feministischen Theologien – der Islam, der im öffentlichen Diskurs, und zwar auch im feministischen öffentlichen Diskurs, oft als Inbegriff der Geschlechterungleichheit herhalten muss. Dies gilt es zu problematisieren, ohne den Islam aus der feministischen Religionskritik auszunehmen.
Gender Studies zur Einführung
Das in Ko-Autorinnenschaft mit Katharina Hajek, Iwona Kocjan und Nicola Mühlhäußer entstehende Buch führt in die Grundlagen der Geschlechterforschung ein und informiert über ihre aktuellen Themen und Debatten. Das Buch versteht Gender Studies dabei als Projekt einer gesellschaftskritischen und emanzipativen Wissensproduktion, die ihren wissenschaftlichen Anspruch gerade dadurch einlöst, dass sie im weiten Sinne politisch ist.
Konturen einer postkolonialen politischen Theorie
Postkoloniale Studien analysieren die Nachwirkungen und Re-Aktualisierungen des europäischen Kolonialismus sowie die Funktionsmechanismen und Effekte aktueller Formen des westlichen Imperialismus. In den Politik- und Sozialwissenschaften werden postkoloniale Ansätze erst seit wenigen Jahren rezipiert, was angesichts aktueller Debatten um Straßennamen und Kolonialdenkmäler, um die Provenienz und Restitution ethnologischer Sammlungen, um Reparationen für Kolonialverbrechen und nicht zuletzt angesichts der politischen Proteste im Zusammenhang von „Black Lives Matter“ erstaunlich, überfällig oder auch symptomatisch erscheinen mag. Das Buchprojekt Zur Kritik westlicher Versprechen und Zustände. Elemente einer postkolonialen politischen Theorie ist eine Reaktion auf diese Konstellation. Es ist an der Schnittstelle von politischer Theorie und postkolonialen Studien angesiedelt und lotet zum einen Potentiale postkolonialer Perspektiven für die kritische Forschung im Bereich der politischen Theorie aus; zum anderen intendiert es, einschlägige politiktheoretische Zugänge für die postkolonialen Studien auch jenseits der Politik- und Sozialwissenschaften zugänglich und stark zu machen. Neben methodologischen Fragen geht es dabei um große westliche Versprechen wie Universalismus, Humanismus, Menschenrechte und Demokratie; ferner um Zustände der Ungleichheit, um Grenzen, Diversität und Solidarität.
DRITTMITTELPROJEKTE
Diversität, Macht und Gerechtigkeit. Transkulturelle Perspektiven
Laufzeit: Mai 2016 bis Oktober 2022
Förderer: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Leiterin: Prof. Dr. Ina Kerner
Ko-Leiterin: Dr. Franziska Dübgen
Mitarbeiter_innen: Kaouther Karoui und Victor Nweke
Theorien der Gerechtigkeit konstruktivistischer Spielart sind zunehmend transnational orientiert und beanspruchen damit normative Geltung für Menschen unabhängig von ihrem soziokulturellen und geopolitischen Standort. Dennoch ist die wissenschaftliche Debatte über Gerechtigkeit bis dato weitgehend von europäischen und angloamerikanischen Autorinnen und Autoren dominiert. Der hermeneutische Erfahrungshorizont verbleibt dabei relativ begrenzt; und zwar auf metropolitane Räume säkularer, moderner Industrienationen. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel dieses Forschungsvorhabens, die normative Debatte über Gerechtigkeit um alternative intellektuelle Traditionen zu erweitern und damit auf die Diversität transnationaler Unrechtserfahrungen zu reagieren. Das Vorhaben konzentriert sich auf Gerechtigkeitskonzeptionen aus postkolonialen Kontexten im globalen Süden, die bisher kaum in der deutschsprachigen Diskussion rezipiert wurden: auf den südafrikanischen Diskurs über Ubuntu und auf die arabisch-islamische Diskussion über Gerechtigkeit im Maghreb. Das Forschungsprojekt operiert dabei im engen Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Universitäten in Südafrika, Tunesien und Marokko. Methodologisch verspricht diese transkulturelle Herangehensweise einen systematischen Beitrag zu den emergenten Forschungsfeldern der Komparativen Politischen Theorie und der Postkolonialen Politischen Theorie.
Diversity, Power and Justice. Transcultural Perspectives
Sponsor: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Scientific Managers: Dr. Franziska Dübgen and Prof. Dr. Ina Kerner
Constructivist theories of justice are increasingly characterized by a transnational focus, and hence claim validity for human beings irrespective of their sociocultural and geopolitical background. Nevertheless, it is predominantly European and Anglo-American scholarship that dominates the academic debate on justice. The hermeneutical horizon of this discussion therefore remains limited, as it primarily draws on experiences stemming from metropolitan spaces within industrialized, secular modern countries. Against this backdrop, this research project aims at broadening the normative justice debate. It looks at alternative intellectual traditions in order to respond to the global diversity of experiences of injustices. It particularly focuses on theories of justice from postcolonial contexts in the global South that have hardly been taken up in the German-language academic literature so far: the South African justice grammar of Ubuntu, and Arab-Islamic debates on justice in the Maghreb. The research project will operate in close dialogue with academics from collaborating institutions in South Africa, Tunisia, and Morocco. On a methodological level, this transcultural approach aims at contributing to the emerging research fields of Comparative Political Theory and Postcolonial Political Theory.
LEHRFORSCHUNG
Seit dem Wintersemester 2017/18 fanden mehrfach Seminare zum Thema „Koblenz postkolonial“ statt. Inzwischen ist aus diesen Seminaren ein von Studierenden geleiteter Verein entstanden. Die Webseite mit weiteren Informationen findet sich hier: Koblenz Postkolonial e.V.